Oktay Süzeroğlu ist Unternehmensberater und Gründer der OSP Strategy Consultants mit Sitz in München.

In der Vergangenheit zeichnete sich das Beschaffungsmanagement innerhalb von Unternehmen durch eine eher unkomplizierte Struktur aus. Die zuständige Funktion bearbeitete schwerpunktmäßig die Aufgabenfelder Bestellwesen, Lieferantenbeziehungen und Kosteneffizienz. Allerdings führt die fortschreitende digitale Transformation, begleitet von der Entstehung und Implementierung von Big Data, Künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung, zu einer rasanten Veränderung im Bereich des Einkaufsmanagements. In dialogorientierten Diskussionen mit Chief Procurement Officers (CPOs) und Einkaufsleitern aus international agierenden Unternehmen konnten wir fünf neuartige Beschaffungs-Operating-Modelle identifizieren, die sich durch diverse Innovationstreiber entwickeln.

Die Entstehung dieser fünf Beschaffungs-Operating-Modelle wurde durch sechs wesentliche Innovationstreiber ermöglicht. Die zentrale Herausforderung für Führungspersönlichkeiten liegt darin, gezielt den oder die passenden Innovationstreiber auszuwählen, um sukzessive das angestrebte Operating-Modell zu verwirklichen.

Sechs Innovationstreiber im Einkauf

Neue Herausforderungen, wie Globalisierung in Krisenzeiten, Digitalisierung und der Fokus auf Nachhaltigkeit, haben dazu geführt, dass der Einkauf heute eine strategische Bedeutung hat und über traditionelle Beschaffungsfunktionen hinausgeht. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, müssen Einkaufsabteilungen ihre Betriebsmodelle anpassen und Innovationstreiber integrieren, die es ihnen ermöglichen, flexibler und effizienter zu arbeiten und einen Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen. Die folgenden sechs Innovationstreiber sind entscheidend für die Weiterentwicklung des Einkaufs-Operating-Modells:

  1. Digitalisierung und Automatisierung: Hierbei geht es um die Implementierung digitaler Technologien, um den Einkaufsprozess zu optimieren und zu automatisieren. Das kann zum Beispiel durch den Einsatz von E-Procurement-Systemen, künstlicher Intelligenz oder Robotic Process Automation (RPA) erfolgen.
  2. Intelligente Datenanalyse und Prognosefähigkeit: Dieser Treiber bezieht sich auf die Fähigkeit, große Mengen an Daten effizient zu analysieren und daraus wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Die daraus resultierende Prognosefähigkeit ermöglicht es, zukünftige Entwicklungen besser zu erkennen, um fundierte Entscheidungen zu treffen und den Einkaufsprozess kontinuierlich zu optimieren.
  3. Integration von Lieferketten- und Risikomanagement: Dabei geht es um die systematische Identifizierung, Bewertung und Steuerung von Risiken in der Lieferkette, um mögliche Schwachstellen oder Engpässe zu erkennen und proaktiv Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dies beinhaltet auch die enge Zusammenarbeit mit Lieferanten und anderen Stakeholdern.
  4. Stärkung der Zusammenarbeit und Kommunikation mit Lieferanten: Dieser Innovationstreiber konzentriert sich auf die Schaffung enger und effektiver Beziehungen zu Lieferanten. Das beinhaltet sowohl die verbesserte Kommunikation als auch das Teilen von Informationen und Best Practices, um gemeinsam bessere Ergebnisse zu erzielen und die Lieferkette insgesamt zu stärken.
  5. Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung in der Lieferkette: Dieser Treiber bezieht sich auf die Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten (ESG) in den Einkaufsprozess. Dazu zählen beispielsweise die Auswahl umweltfreundlicher Materialien oder die Zusammenarbeit mit Lieferanten, die faire Arbeitsbedingungen bieten.
  6. Agiles Projektmanagement und flexible Organisationsstrukturen: Hier geht es darum, den Einkaufsbereich so zu gestalten, dass er schnell auf Veränderungen reagieren und seine Strukturen und Prozesse an neue Anforderungen anpassen kann. Agile Methoden wie Scrum oder Kanban können dazu beitragen, die Flexibilität und Schnelligkeit im Einkaufsprozess zu erhöhen.

Diese Innovationstreiber fördern die Entstehung neuer Einkaufsbetriebsmodelle, obwohl der Grad der Beeinflussung von der Art der einzelnen Organisationen abhängt. Durch die Analyse dieser Treiber können wir eine Reihe von Einkaufsbetriebsarchetypen identifizieren, die den unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen von Unternehmen gerecht werden.

Fünf aufkommende Einkaufs-Betriebsmodelle

Aus den zuvor beschriebenen Innovationstreibern ergeben sich verschiedene Einkaufsbetriebsmodelle, die Unternehmen dabei unterstützen, ihre Beschaffungsprozesse neu zu gestalten. Wir haben fünf aufkommende Einkaufsbetriebsmodelle identifiziert:

1. Digital-first

Dieses Modell setzt auf die vollständige Integration digitaler Technologien in alle Aspekte des Einkaufs, von der Bedarfsermittlung bis zur Zahlungsabwicklung. Dabei kommen Technologien wie KI, Blockchain und Internet der Dinge zum Einsatz. Beispielsweise werden elektronische Marktplätze für Beschaffungsvorgänge genutzt, Bestellungen werden automatisiert abgewickelt, und Analysen und Berichte erfolgen über digitale Tools.

Digital-first-Modelle sind insbesondere für Unternehmen geeignet, die eine vollständige digitale Transformation anstreben.

2. Datengetrieben

Das datengetriebene Modell legt den Fokus auf die Analyse und Nutzung von Daten zur Verbesserung von Einkaufsprozessen und Entscheidungsfindung. Es setzt auf KI, um fundierte Entscheidungen zu treffen und Prognosen zu erstellen. Es ermöglicht die Identifizierung von Einsparungspotenzialen, Risikomanagement und die Optimierung der Lieferantenbeziehungen.

In der Praxis bedeutet das, dass Unternehmen große Datenmengen sammeln, auswerten und analysieren, um Trends und Muster zu erkennen, die ihnen helfen, bessere Einkaufsentscheidungen zu treffen und ihre Lieferketten effizienter zu gestalten.

Besonders geeignet ist dieses Modell für datenintensive Branchen wie der Logistik oder dem Finanzsektor.

3. Risikoresilient

Dieses Modell integriert das Risikomanagement und die Lieferkettenplanung eng in das Einkaufsmanagement. Die Fokussierung auf Risikoresilienz hilft Unternehmen, besser auf externe Schocks und Marktveränderungen zu reagieren und eine stabile Lieferkette sicherzustellen.

In der Praxis implementiert das risikoresiliente Modell eine umfassende Risikomanagementstrategie, die alle Ebenen der Lieferkette abdeckt. Dazu gehört die Identifizierung potenzieller Risiken, die Bewertung ihrer Wahrscheinlichkeit und Auswirkungen, sowie die Entwicklung von Strategien zur Risikominimierung. Eine enge Zusammenarbeit mit Lieferanten ist dabei essenziell, um Transparenz und Risikomanagement entlang der gesamten Lieferkette zu gewährleisten.

4. Nachhaltigkeitsorientiert

Hier steht die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten und sozialer Verantwortung im Vordergrund. Das Modell fördert die Zusammenarbeit mit Lieferanten, um gemeinsame Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und Transparenz in der Lieferkette zu schaffen.

In der Praxis bedeutet ein nachhaltigkeitsorientiertes Modell, dass Unternehmen ihre Einkaufsentscheidungen an Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten (ESG) ausrichten. Dazu gehört die Auswahl von Lieferanten, die nachhaltige Praktiken verfolgen, die Minimierung des ökologischen Fußabdrucks der Lieferkette und die Sicherstellung fairer Arbeitsbedingungen. Langfristige Lieferantenbeziehungen und eine gute Zusammenarbeit sind in diesem Modell von zentraler Bedeutung.

5. Agil und flexibel

Bei diesem Modell liegt der Fokus auf agilen Projektmanagementmethoden und flexiblen Organisationsstrukturen. Dies ermöglicht es dem Einkauf, schneller auf Veränderungen zu reagieren und Innovationen voranzutreiben.

Das agile und flexible Einkaufs-Operating-Modell zeichnet sich durch eine schnell reagierende und anpassungsfähige Organisation aus, die auf Veränderungen im Markt oder der Lieferkette prompt reagieren kann.

In der Praxis bedeutet das die Anwendung agiler Projektmanagementmethoden wie Scrum oder Kanban, flache Hierarchien und die Fähigkeit, Prozesse und Ressourcen schnell umzuorganisieren, um auf neue Anforderungen oder Herausforderungen zu reagieren. Das agile und flexible Modell fördert zudem die Zusammenarbeit zwischen Teams und Abteilungen, um gemeinsam schneller zu Lösungen zu gelangen und die Effizienz der gesamten Organisation zu steigern.

Insbesondere Start-ups und Unternehmen in dynamischen Branchen profitieren von dieser Herangehensweise.

Innovationstreiber, die den Einkauf prägen

Obwohl Innovationstreiber das traditionelle Einkaufsmodell geprägt und zur Entstehung neuer Archetypen geführt haben, sind nicht alle Innovationstreiber gleich. Jeder Archetyp basiert in der Regel auf einem Haupt-Innovationstreiber und wird von weiteren Nebentreibern unterstützt.

Haupttreiber im Digital-first-Modell ist die Digitalisierung und Automatisierung von Einkaufsprozessen, da der Fokus auf der Nutzung digitaler Technologien zur Effizienzsteigerung und Optimierung der Einkaufsabläufe liegt. Durch den Einsatz von elektronischen Bestellsystemen, Künstlicher Intelligenz und Robotic Process Automation können Unternehmen Kosten einsparen und Zeit gewinnen. Als Nebentreiber dienen hier die intelligente Datenanalyse und Prognosefähigkeit, um aus der Fülle von Daten wertvolle Informationen und Handlungsempfehlungen abzuleiten, sowie agiles Projektmanagement und flexible Organisationsstrukturen, die es ermöglichen, schnell und effizient auf Veränderungen im Markt zu reagieren.

Im Datengetriebenen Modell ist der Haupttreiber die intelligente Datenanalyse und Prognosefähigkeit. Hier steht die Verwendung von Daten im Mittelpunkt, um fundierte Entscheidungen in Bezug auf Lieferanten, Preise und Bestandsmanagement zu treffen. Big Data, maschinelles Lernen und Predictive Analytics helfen, Muster und Zusammenhänge zu erkennen und zukünftige Entwicklungen vorherzusagen. Als Nebentreiber wirken hier die Digitalisierung und Automatisierung von Einkaufsprozessen, um den Umgang mit großen Datenmengen zu erleichtern, sowie agiles Projektmanagement und flexible Organisationsstrukturen, um schnell auf neue Erkenntnisse zu reagieren.

Für das risikoresiliente Modell ist die Integration von Lieferketten- und Risikomanagement der Haupttreiber. Dieses Modell zielt darauf ab, die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette gegenüber Störungen und Risiken zu erhöhen, indem potenzielle Risikofaktoren identifiziert, bewertet und minimiert werden. Hierzu zählen beispielsweise Naturkatastrophen, politische Unruhen oder Lieferantenausfälle. Nebentreiber sind die Stärkung der Zusammenarbeit und Kommunikation mit Lieferanten, um eine bessere Transparenz und Reaktionsfähigkeit zu erreichen, sowie Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung in der Lieferkette, um langfristige Risiken für Umwelt und Gesellschaft zu reduzieren.

Der Haupttreiber für das nachhaltigkeitsorientierte Modell ist die Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung in der Lieferkette. Unternehmen, die dieses Modell verfolgen, legen Wert auf ethische und umweltfreundliche Beschaffung und arbeiten aktiv daran, negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu minimieren. Dazu gehört die Auswahl umweltfreundlicher Materialien und Lieferanten, die faire Arbeitsbedingungen gewährleisten. Die Nebentreiber umfassen die Stärkung der Zusammenarbeit und Kommunikation mit Lieferanten, um gemeinsame Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und die Integration von Lieferketten- und Risikomanagement, um langfristige Risiken in Bezug auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit zu identifizieren und zu managen

Der Haupttreiber für das agile und flexible Modell ist das agile Projektmanagement und flexible Organisationsstrukturen. In diesem Modell liegt der Fokus darauf, schnell und effektiv auf Veränderungen im Markt oder innerhalb des Unternehmens reagieren zu können. Unternehmen, die dieses Modell anwenden, nutzen agile Methoden wie Scrum oder Kanban, um Projekte zu steuern und Anpassungen vorzunehmen, wenn sich Anforderungen oder Prioritäten ändern. Als Nebentreiber fungieren die Digitalisierung und Automatisierung von Einkaufsprozessen, um den Einkauf schneller und effizienter zu gestalten, sowie die intelligente Datenanalyse und Prognosefähigkeit, um fundierte Entscheidungen zu treffen und auf Markttrends zu reagieren.

Jedes Modell fokussiert sich auf unterschiedliche Aspekte des Einkaufs und stellt einen spezifischen Bereich in den Vordergrund, um den Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu gewährleisten. Die Haupttreiber sind entscheidend für das jeweilige Modell, während die Nebentreiber dazu beitragen, die Effizienz und Wirksamkeit des Haupttreibers zu unterstützen oder zusätzliche Vorteile zu bieten. Die entscheidende Aufgabe für Führungskräfte im Einkauf besteht darin, bewusst die relevantesten Innovationstreiber auszuwählen, um schrittweise auf ihr gewünschtes Betriebsmodell hinzuarbeiten.

Übergang zum gewünschten Operating Model

Der Übergang zu einem zukunftsorientierten Einkaufs-Operating-Modell ist in der Regel ein dreistufiger Prozess:

Zuerst sollten sich CPOs / Einkaufsleiter und ihre Führungsteams auf das am besten geeignete Einkaufs-Operating-Modell für ihre Organisation abstimmen. Dabei sollten sie die dringendsten Geschäftsanforderungen, die Erwartungen der Stakeholder, den breiteren organisatorischen Kontext und das vorherrschende Kern-Operating-Modell berücksichtigen.

Als zweiten Schritt gilt es, die zwei oder drei wichtigsten Innovationstreiber auszuwählen, die die Einkaufsabteilung näher an das gewählte Operating-Modell heranführen. Hierbei sollten Führungskräfte die strategischen Prioritäten im Einkauf, aber auch die Machbarkeit, Geschwindigkeitsbegrenzungen bei der Umsetzung und den Umfang der Veränderungen berücksichtigen.

Schließlich ist es wichtig, den Übergang umfassend zu planen und an den Kernmeilensteinen für jeden der ausgewählten Innovationstreiber zu arbeiten. Dies erfordert die Mobilisierung von Ressourcen, den Aufbau neuer Fähigkeiten und die Umsetzung einer integrierten Veränderungsagenda, die alle Bereiche des Unternehmens und den Einkauf miteinbezieht.

Fazit:

Die Einführung neuer Einkaufs-Operating-Modelle ist entscheidend, um den Herausforderungen des digitalen Zeitalters gerecht zu werden und den Einkauf als strategischen Wertschöpfer im Unternehmen zu etablieren. Durch die Auswahl der relevantesten Innovationstreiber und die Umsetzung eines gezielten Transformationsprozesses können Unternehmen ihre Einkaufsabteilung auf die Zukunft ausrichten und nachhaltige Wettbewerbsvorteile erzielen.